Wie in der Vergangenheit erworbene Überzeugungen den Blick in die Zukunft (Web3, NFTs, Metaverse) versperren
Seit meiner Kindheit spiele ich recht gerne Schach. Ich bin zwar nicht wirklich gut, aber habe Spaß am Spiel. Heute spiele ich gegen meinen siebenjährigen Sohn, der (noch) seine Mühe im Spiel gegen mich hat. Wie kann es auch anders sein. Ich habe ja Jahrzehnte mehr Erfahrung in diesem Spiel als er. Eines Tages lernte mein Sohn im Schachclub jedoch eine neue Schachvariante, die sich Räuberschach nennt. Beim Räuberschach ist die normale Schachlogik auf den Kopf gestellt. Derjenige Spieler gewinnt, der zuerst alle seine Schachfiguren verloren hat. Es kann ja nicht so schwierig sein, seine Spielfiguren zu verlieren, dachte ich mir, nahm die Räuberschach-Herausforderung meines Sohnes an und verlor direkt im ersten Spiel. Meine jahrzehntelange Schacherfahrung wurde zum Hindernis, zum Nachteil, weil ich das Spiel neu denken musste. Bewährte Züge funktionierten nicht mehr, im Gegenteil, sie waren unter diesen neuen Rahmenbedingungen schlechte Züge. Ich konnte nicht schnell genug umdenken, Erlerntes verlernen und bevor ich begriff was geschah, freute sich mein siebenjähriger Sohn über seinen ersten Schachsieg gegen mich. Neben dem Spaß am Spiel konnten wir beide in dieser Schachpartie etwas Wichtiges lernen. Mein Sohn lernte, dass ein erfahrener Spieler, der in seinem Metier schwierig zu schlagen ist, unter geänderten Rahmenbedingungen kinderleicht besiegt werden kann. Und ich lernte, dass all unsere Erfahrungen und unser Wissen unter gewissen Umständen nicht nicht nur kein Vorteil, sondern sogar ein Nachteil sein können, weil sie uns blind für die richtigen Handlungen machen. Und das nicht nur im Schach so.
Als ich vor Jahren das erste Mal auf einer Startup Konferenz mit dem Thema Bitcoin in Kontakt gekommen bin, konnte ich meine bestehenden Glaubenssätze im Hinblick auf die Welt und Wirtschaft nicht abschütteln. Bitcoin, eine digitale Währung dessen Gründer anonym ist? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Und weil ich es mir nicht vorstellen konnte, nahm ich mir auch nicht die Zeit dafür, mich damit auseinander zu setzen und die dahinter liegende Blockchain-Technologie zu durchdringen. Die Überzeugungen und Glaubenssätze die ich in meinem Leben entwickelte, versperrten mir den Blick in die Zukunft. Und das nicht nur einmal. Während mir 2017 der Wert von Bitcoin oder Ethereum klar war, rümpfte ich die Stirn als das erste CryptoKitty im Dezember 2017 für über Hunderttausend Dollar den Besitzer wechselte1. Ich konnte das Ereignis nicht einordnen. Anstatt mich bereits 2017 intensiv mit den CryptoKitties auseinanderzusetzen und frühzeitig den Nutzen von Non-Fungible-Tokens (NFTs) zu verstehen, hatte ich direkt negative Assoziationen wie Hype, Ponzi-Masche oder Geldwäsche, die mich davor abhielten, dem Thema nachzugehen. Erneut versperrten mir in der Vergangenheit erworbene Überzeugungen und Glaubenssätze den Blick in die Zukunft.
Wir müssen also aufhören, technologischen Entwicklungen oder Innovationen hauptsächlich vor dem Hintergrund des Vergangenen zu bewerten. Web3, NFTs oder das Metaverse bringen Entwicklungen mit sich, die teilweise nicht mit unseren bestehenden Erfahrungen und Überzeugungen in Einklang gebracht werden können. Ein Beispiel: Wirft heute jemand die These auf, dass zukünftig Menschen nicht mehr für das Zocken von Video-Spielen zahlen, sondern dafür bezahlt werden, reagieren viele Gesprächspartner außerhalb der Play2Earn-Community mit „zu schön, um wahr zu sein“ oder „wie soll sowas wirtschaftlich funktionieren“. Ein Videospiel wird gekauft, dann gespielt. Der Zahlungsstrom ist einseitig zum Anbieter hin. Ein Play2Earn Ansatz, bei dem Spieler:innen durch das Spielen Geld verdienen, ist entgegen dem, was die Meisten in ihrem Leben erlebt oder gehört haben. Es entsteht eine kognitive Dissonanz2 zwischen den eigenen Erfahrungen und Überzeugungen, die bis zum heutigen Tag aufgebaut wurden und dem neuen Konzept, welches im Widerspruch dazu steht. Und genau an dieser Stelle des Denkprozesses, an welcher zwei gegensätzliche Konzepte aufeinander prallen, entsteht eine unangenehmer Spannungszustand, der abgebaut werden will. Die einfache Variante die Spannung abzubauen ist, die neue Technologie oder den innovativen Ansatz abzuwerten („alles Betrug“, „nur ein Hype“). Dann ist das Thema erledigt und die Welt existiert in Einklang mit den eigenen Vorstellungen. Dieser Weg wird häufig recht automatisiert eingeschlagen, der Spannungszustand wird unmittelbar und ohne großen Aufwand gelöst. Die anspruchsvollere Variante ist sich die Zeit zu nehmen, um den neuen Ansatz zu verstehen, und die eigenen Überzeugungen an die neue Umwelt anzupassen. Eine Auseinandersetzung mit Play2Earn Ansätzen würde beispielsweise zeigen, dass diese eine ernstzunehmende und interessante Entwicklung darstellen, die es zu beachten gilt. Einer der führenden Play2Earn Anbieter, Axie Infinity, hat bereits über 1.8 Millionen tägliche, aktive User. In den Philippinen ist das Spiel sehr beliebt und einige bestreiten sich mit den bis zu 1.000-2.000 Dollar die monatlich mit dem Spiel verdient werden können, ihren Lebensunterhalt3. Welche gesellschaftlichen Auswirkungen dadurch entstehen, dass Menschen ihren Lebensunterhalt durch das Spielen von Videospielen bestreiten und ob diese sinnfreien Tätigkeiten nicht ein Musterbeispiel für Bullshit Jobs4 sind, lasse ich an dieser Stelle den Leser:innen zur Beurteilung. Und ja, es gibt auch Play2Earn Spiele die ihre Spieler abzocken und sich einer Ponzi-Masche bedienen. Die Kategorie Play2Earn ist aber beachtenswert.
Fazit: Meine Botschaft ist nicht unkritisch jedem Hype zu folgen. Meine Botschaft ist, neue Ansätze, Innovationen, technologische Entwicklungen nicht voreilig abzuschreiben, sondern diese nüchtern zu analysieren. Erfolgt diese Analyse nicht und der neue Ansatz wird unmittelbar - ohne kritische Auseinandersetzung damit - abgewertet, dann ist diese Position oft über längere Zeit verfestigt. Die eigene Wahrnehmung ist dann so ausgerichtet, dass sie hauptsächlich Inhalte filtert, welche die eigene Position stärken. Eine selbst erstellte Filter Bubble par excellence. Insofern, bleibt so lange wie möglich offen gegenüber neuen Entwicklungen und nehmt euch die Zeit ein Verständnis dafür aufzubauen.
Im Rahmen dieser Publikation möchte ich Leser:innen dabei behilflich sein, ein tieferes Verständnis für Web3, NFTs & das Metaverse zu erlangen. Diese Publikation soll zum Denken anregen und neue Perspektiven aufzeigen. Um dies zu erreichen werde ich
a) relevante Entwicklungen, deren Hintergründe und Beispiele in einfach verständlicher Form beschreiben und kritisch diskutieren,
b) Anwendungsfelder und Innovationsmöglichkeiten aufzeigen und
c) mögliche Zukunftsszenarien skizzieren
In dieser Publikation geht es nicht darum, wie sich über das Flippen von Jpegs oder das durch das Investieren in Kryptowährungen schnell Geld verdienen lässt. Hierfür gibt es zahlreiche andere Publikationen. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass sich der Großteil der Publikationen in diesem Feld vorwiegend damit beschäftigen. Aber nicht diese. Von mir gibt es jedoch keine Investment-Ratschläge. Ich bin kein Finanzexperte. Mein Spezialgebiet sind die Themen Entrepreneurship, Innovation & Marketing. Solltet ihr dennoch Investitionen tätigen, investiert in keine Projekte die ihr nicht versteht und deren Risiko ihr nicht abschätzen könnt. Investitionen in neuartige Projekte können zu einem Totalverlust führen und sind als hochriskant einzustufen.
Tepper, Fitz. “People Have Spent over $1M Buying Virtual Cats on the Ethereum Blockchain.” Techcrunch, 2017. https://techcrunch.com/2017/12/03/people-have-spent-over-1m-buying-virtual-cats-on-the-ethereum-blockchain/
Festinger, Leon. A Theory of Cognitive Dissonance. California: Stanford University Press, 1957.
Costa, Cameron. “Inside the Metaverse Economy, Jobs and Infrastructure Projects Are Becoming Real.” CNBC, 2022. https://www.cnbc.com/2022/01/15/inside-the-metaverse-economy-this-is-what-will-be-for-real-in-2022.html
Graeber, David. Bullshit Jobs. New York: Simon & Schuster, 2018.